Kindermund

 

Das Böse in der Welt?

Meine fünfjährige Tochter Rosalie hat heute unliebsame Bekanntschaft einer Zecke gemacht. Sie ist eine nachdenkliche kleine Philosophin und die essentiellen Fragen des Lebens beschäftigen sie immer sehr, darum entspinnt sich am Abend im Badezimmer folgender Dialog:

R: Du, Papa, wer hat eigentlich die Tiere gemacht?
E (etwas unsicher, worauf das nun hinauslaufen soll): Naja, gemacht haben die Tiere die Naturwesen.
R: Naturwesen? Was ist das?
E: Naturwesen. Elfen, Feen, Naturwesen eben. Die Baumeister der Natur. (eilig) Aber gesagt, wie sie es machen sollen, hat es ihnen der liebe Gott.

(Pause)

R: Warum gibt‘s eigentlich Zecken?
E (verwirrt): Warum?
R (beharrend): Wenn der liebe Gott es ihnen gesagt hat, wie sie es machen sollen, warum gibt es dann Zecken? Die sind doch böse.
E (defensiv): Naja, böse nicht, lästig halt.
R (gnadenlos): Die saugen doch Blut.
E (begütigend): Ja, sie leben vom Blut, und das ist lästig, aber sie tun es nicht aus einer eigenen bösen Absicht. Sie sind so.
R (unerbittlich): Warum hat der liebe Gott das so gesagt, dass sie es machen sollen?
E (sich nach kurzem Panikanflug fassend): Das hat der liebe Gott ihnen nicht gesagt.
R: —
E (schicksalsergeben): Das Böse kommt nicht vom lieben Gott. Das Böse kommt aus den Herzen der Menschen.
R (erstaunt): Aus den Herzen der Menschen?
E: Aus den Gedanken der Menschen. Wenn die Menschen böse Gedanken denken, dann bringen sie die schöne Ordnung in der Welt in Unordnung.

Nun folgt eine kurze Sequenz, weil das lautere Kind nicht versteht, was „böse“ ist und nur Begriffe wie „zornig“, „wütend“, „ungerecht“, „gemein“ fassen kann, dann wechselt sie das Thema. – Was wird diese Information in dem Kind bewirken? Habe ich die große Chance im Badezimmer zwischen Zähneputzen und Zubettgehen nützen können? Bin ich meiner großen Aufgabe und Verantwortung gerecht geworden und habe ich diese wahrhaft weltbewegende Frage in dem Augenblick, auf den alles ankam, richtig beantwortet? Ich weiß es nicht …

Der Elfenfreund